Zeitdokumente zum Live-Gottesdienst

Der NWDR übertrug am 23. März 1951 einen Karfreitag-Gottesdienst live aus dem Sozialwerk Stukenbrock. Im Original-Manuskript des damaligen Moderators stand:

Evangelischer Gottesdienst aus dem Sozialwerk Stukenbrock am Karfreitag, 23. März 1951

Kopfansage aus dem Funkhaus: Sie hören am heutigen Karfreitag den evangelischen Gottesdienst aus der Flüchtlingsgemeinde im Sozialwerk Stukenbrock. Die Predigt hält Pfarrer Dr. Thimme. Die Betheler Kantorei unter ihrem Leiter Adalbert Schütz singt eine Choral-Passion von Michael Prätorius.

Reportage (ohne Glockenläuten):

Unseren heutigen Gottesdienst, liebe Hörer, leitet kein Glockengeläut ein, und es wird auch keine Orgel in ihm erklingen. Das ist nicht nur deshalb so, weil am Karfreitag, meist freilich erst von der Todesstunde des Herrn an, Glocken und Orgel ohnehin schweigen, sondern das hat seinen Grund vor allem darin, dass wir diesen Karfreitagsgottesdienst in einer Flüchtlingsgemeinde feiern, die sich nun heute in keinem Kirchenraum versammelt hat, sondern in der größten Baracke dieses ehemaligen Lagers, das etwa in der Mitte liegt zwischen den Städten Bielefeld und Paderborn und jetzt den Namen Sozialwerk Stukenbrock trägt.

Ein ehemaliges Lager ist es; jedoch wenn Sie heute in eine der Baracken eintreten, die in der weiten Ebene wie eine Herde weidender Schafe nebeneinander stehen, dann erinnert - wenigstens in ihrem Innern - nichts mehr an den einstigen Barackencharakter, sondern richtige saubere und schöne Wohnräume nehmen die Menschen auf, die hier nun, zum Teil im Durchgang, zum Teil schon längere Zeit, heimisch sind. Rund tausend Seelen sind derzeit in dieser kleinen Siedlung.

Dennoch ist es vielleicht gerade am Karfreitag einmal erlaubt, mit kurzen Worten daran zu erinnern, was sich hier im letzten Jahrzehnt zutrug, und wie hier zu einer Zeit, als noch Stacheldraht die Baracken umgab, das große menschliche Leid und Elend gewohnt hat: jenes Leid und Elend, das Menschen den Menschenbrüdern zugefügt haben. Russische Kriegsgefangene lagen hier und viele von ihnen haben die Heimat nicht wiedergesehen. Deutsche Kriegsgefangene lösten sie ab, als die Katastrophe des Krieges sich vollendet hatte. Deutsche Zivilgefangene kamen, von denen mancher von hier aus irdischen Richtern überantwortet wurde. Keiner von allen, die da über die anderen wachten, sie gefangen hielten, sie quälten und richteten, hat wohl so, wie es ihm geziemte, daran gedacht, dass ein anderer allein Richter ist, ein anderer allein die Gewalt hat, Gnade und Gerechtigkeit zu verleihen nach anderen als menschlichen Massen.

Aber mit dem Niederreißen des Stacheldrahts war das Leid nicht zu Ende. Die ersten Flüchtlinge aus dem Osten kamen über Dänemark hierher, und seitdem ist der Strom der Heimatlosen nicht abgerissen. Noch jetzt kommen allwöchentlich Transporte des Elends, namentlich aus Schlesien oder aus Polen und legen noch immer Zeugnis ab von der Unbarmherzigkeit der Menschen gegen den Menschen. Freilich finden sie jetzt gastliche Aufnahme hier, wo in diesem Sozialwerk sich gemeinsam die Verbände des Evangelischen Hilfswerks, der Caritas, des Roten Kreuzes, der Arbeiterwohlfahrt und des Westfälischen Blindenvereins um sie mühen und sie in Alters- und Jugendheimen, Heimen für Mütter und Kinder und Krankensälen betreuen.

Durch den ständigen Zustrom und Abgang der Weiterwandernden trägt die Gemeinde stets ein anderes Gesicht. Aber immer sind es Zeugen menschlichen Leids, die sich hier versammeln und die nun in unserem heutigen Gottesdienst auf das Leiden Gottes blickten, das er am Kreuz für sie und uns alle getragen hat. Lassen Sie uns nun gemeinsam mit ihnen auf jene Heimat schauen, zu der uns das Karfreitagsgeschehen von Golgatha den Weg geöffnet hat.

Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei vor ihm stille alle Welt.