Zeitdokumente zu den ersten Jahren

Eine Zeitung schrieb 1951 (Quelle und genaues Datum unbekannt):

Elendszug sechs Jahre nach dem Kriege

Leidensweg von 49 Altersheiminsassen aus Schlesien - Sieben starben -
Hilfe durch Sozialwerk Stukenbrock

Im Sozialwerk Stukenbrock in der Senne traf am Mittwochabend ein Transport alter Leute ein, die das deutsche Altersheim Ludwigsdorf im Glatzer Bergland am 2. März verlassen mußten. Auf dem Transport sind von den 49 Männern und Frauen sieben gestorben.

Vielleicht stellt in diesem Augenblick schon dieser oder jener die Frage, warum diese kleine Nachricht in Fettdruck erscheint und an eine bevorzugte Stelle gerückt wird. Was bedeuten ein halbes Hundert alte Leute, die die letzten Kräfte ihres siechen Körpers und den letzten Funken Hoffnung aufboten, um einen dreiwöchigen Transport von Lager zu Lager lebend zu überstehen.

Wer hat noch die Zeit, die seelische Kraft und vor allem - wer hat noch so viel Liebe, um sich vom Elend dieses Häufleins zerschlagener, kranker Gestalten anrühren zu lassen? Wer sind sie, die draußen in der Senne an einem dieser stürmischen, kalten Märzabende mit gebrechlichen Gliedern, schwerfällig und von helfenden Händen gestützt, aus dem Krankenwagen herausklettern, um doch noch einmal ein sauberes Bett, eine warme Stube und ein ganz kleines Stück ruhigen, friedlichen Lebensabend zu finden?

Armselige Fünfzig, ein kümmerlicher Rest von ungezählten Millionen, die vor ihnen diesen Weg des Leidens gingen, sagt einer. Er hat recht und auch nicht. Denn diese Greise und Mütterchen sind mehr als Vertriebene, wenn man die Not mißt - oder weniger, wenn man nach dem fragt, was ihnen vom Leben übrig blieb. Die hier über den regennassen Weg, von sorgenden Händen geleitet, in die Helligkeit und fürsorgende Wärme der Baracken humpeln, sind Hilflose, Kranke, Gebrechliche, Altersschwache, die selbst die Not der Flucht noch Jahre allein zurückließ.

Sechs Jahre nach dem Krieg mußten sie ihr Bündel schnüren, um es drei Wochen lang mit der Sorge um diesen letzten erbärmlichen Rest ihres Eigentums, durch ihr Vaterland zu schleppen. Tastend greift die faltige, welke Hand eines abgehärmten Weibleins beim Aussteigen hinter sich, um das abgetragene, geflochtene Einkaufsnetz mitzunehmen.

Sieben von ihnen haben diese „Reise durch Deutschland" nicht überstanden. Am 2. März war man aufgebrochen in Ludwigsdorf. Der alte Pastor und zwei Schwestern des Heims blieben den Alten zur Seite. Fast drei Wochen dauerte es, bis man das Lager Friedland erreicht hatte. Niemand weiß, wie weit der Weg noch gewesen wäre, wenn sich nicht die helfende Hand des Sozialwerks ausgestreckt hätte. Ohne Zwischenaufenthalt ging die Fahrt am Mittwoch von Friedland nach Hövelhof, wo am Bahnhof die Krankenwagen und ein Lastkraftwagen für die „Gesunden" bereit standen.

Und nun öffnen sich die Türen der Krankenbaracken. Flinke Schwesternhände fassen zu. Denn es sind ihre Landsleute, diese Alten. Vertriebene sind es wie sie, die Frauen und Männer des Sozialwerkes, die am eigenen Leibe dieses Schicksal erlebten. Da bedarf es keiner Worte.

Mit jedem helfenden Griff, mit jedem Umsichschauen in den freundlichen wohnlichen Räumen, mit dem Gefühl der Wärme und Geborgenheit nach den Tagen des unsteten, ungewissen und zermürbenden Lebens während des Transportes, fällt das Schwere, das Leid und das Elend von diesen Menschen.

Die Freude, daß ihre Hoffnung, die sie durch alle Jahre bitterer Not trugen, doch in Erfüllung ging, nimmt von ihnen Besitz. So sehr, daß der Arzt sich Sorgen darüber macht, ob sie alle diese Umstellung überstehen. Auf eine Frage, erhält man Antwort aus sechs Betten. Sie schwatzen durcheinander wie glückliche Kinder.

Bild 1 im Artikel: Liegt auf dem runzeligen Gesicht der neunzigjährigen Waldenburgerin - sie ist die Aelteste des Transports - nicht das große Glück, doch noch nach allem Elend eine Heimstatt gefunden zu haben?

Bild 2 im Artikel: Am Tage ehe sie das Heim in Ludwigsdorf verlassen mußte, starb diesem 72jährigen Waldenburger Bergmann die Frau. Allein mußte er die Reise ins Ungewisse antreten. Schon nach wenigen Minuten fühlt er, daß es auch für ihn noch Liebe und Fürsorge gibt.

Bild 3 im Artikel: So froh hat das 83jährige Mütterchen aus Oberschlesien wohl selten seinen Fuß über eine Schwelle gesetzt wie nach dem dreiwöchigen Transport in Stukenbrock.

Paul Liebert

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